Arzthaftpflicht: Grobe Behandlungsfehler
Der „grobe Fehler“ in den akademischen Heilberufen – was er ist, welche Rechtsfolgen er hat und wie man ihn vermeidet.
Was sind grobe Behandlungsfehler?
Es war ein langer, anstrengender Tag in der Praxis von Allgemeinmediziner Dr. Hubert Granz*. Kurz vor Ende der Sprechstunde stellt sich noch eine Patientin vor: Maja Berndt* klagt über Schmerzen im Unterbauch und hat leichtes Fieber. Dr. Granz ist schon fast im Mantel, ein dringender privater Termin steht an. Nach einer oberflächlichen Untersuchung schickt er die Patientin mit der Empfehlung nach Hause, sich mit einer Wärmflasche ins Bett zu legen. In der folgenden Nacht wird Maja Berndt mit einem Blinddarmdurchbruch ins Krankenhaus eingeliefert; eine lebensbedrohliche Bauchfellentzündung entwickelt sich. Nach ihrer Genesung verklagt sie Dr. Granz wegen eines groben Behandlungsfehlers auf Schadenersatz – und bekommt Recht. Ob Humanmedizin, Zahnmedizin oder in der Apotheke – der sogenannte „grobe Fehler“ spielt mittlerweile in all diesen Bereichen eine Rolle. Stellt ein Gericht einen groben Fehler fest, können Schadenersatzansprüche leichter durchgesetzt werden. Der Begriff des groben Fehlers wurde von Gerichten zur Haftung von Ärztinnen und Ärzten sowie Zahnärztinnen und -ärzten entwickelt und findet sich heute im Patientenrechtegesetz. Er bezeichnet ein nicht mehr verständliches Fehlverhalten, das einem Mediziner oder einer Medizinerin „schlechterdings nicht unterlaufen darf“ (BGH VersR 2012, 227). Liegt ein grober Fehler vor, muss die geschädigte Person nicht mehr wie üblich nachweisen, dass ein Behandlungsfehler für den Schaden ursächlich ist. Bei einem groben Behandlungsfehler, der eine bestimmte Folge möglich erscheinen lässt, wird der Ursachenzusammenhang zwischen Fehler und Schaden vermutet. § 630h BGB formuliert das so: „Liegt ein grober Behandlungsfehler vor und ist dieser grundsätzlich geeignet, eine Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, wird vermutet, dass der Behandlungr für diese Verletzung ursächlich war.“
*Namen geändert
Tipp
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WeiterlesenBeispiele für den „groben Behandlungsfehler“
Fälle eines „fundamentalen und nicht nachvollziehbaren Regelverstoßes“ sind leider nicht so selten, wie man meinen könnte. Hier einige Fälle aus dem Schadenportfolio der Deutschen Ärzteversicherung. Humanmedizin
- Keine weitergehende Diagnostik trotz Anzeichen einer -Darmlähmung
- Unterlassen einer Augenhintergrunduntersuchung trotz -Symptomen einer Netzhautablösung
- Unterlassen einer Krankenhauseinweisung trotz frischem Infarkt
- Übersehen einer offensichtlichen Frakturlinie im Röntgenbild
- Entbindung ohne indiziertes CTG
- Unterlassen der histologischen Befundung entfernten Gewebes
- Kein Hinweis auf die dringend erforderliche Diagnostik bei -blutender Mamille
- Verwechslung von Putzmittel mit Wunddesinfektionsmittel
- Aufzeichnungslücke im CTG durch Herzschlagverwechslung mit der Mutter
- Außerachtlassen der üblichen Hygienestandards bei intraartikulärer Injektion
Zahnmedizin
- Überschreiten der üblichen Behandlungsdauer für die -Gerüsteinprobe einer Brücke um das Sechsfache
- Freiliegenlassen beschliffener Zahnsubstanz
- Einbringen eines Implantats, obwohl wegen unbehandelten Knochenabbaus kein genügender Halt möglich war
- Abrutschen mit dem Bohrer in den Zungengrund
- Verwechseln des zu extrahierenden Zahnes
Apotheken
Da in Apotheken keine Patienten behandelt werden, mag die Diskussion des „groben Fehlers“ hier verwundern. Das Oberlandesgericht Köln (Urteil vom 7.8.2013, Az. 5 U 92/12) ist diesen Schritt aber gegangen: Ein siebenjähriger Junge mit Downsyndrom und Herzfehler sollte drei Monate nach der Geburt am Herzen operiert werden. Bis dahin verordnete der Kardiologe digitalishaltige Medikamente, allerdings versehentlich in achtfach überhöhter Dosierung. Der Apotheker übersah diesen Fehler und gab das Medikament gemäß Verordnung ab. Das OLG verurteilte sowohl den Arzt als auch den Apotheker. Dass der Apotheker das Rezept trotz des Wirkstoffs nicht besonders sorgfältig geprüft habe, sei ein grober Fehler, wie er „einem Apotheker schlechterdings nicht unterlaufen“ dürfe. Damit haftete er – neben dem Arzt – für den zeitweiligen Herzstillstand und einen zusätzlichen Entwicklungsrückstand.
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